Alte Obstsorten in unseren Gärten

Claudia Marxen

Vom Adamsapfel bis zur Zuccalmaglios Renette

Unsere Gärten sind 100 Jahre alt, und in ihnen wachsen zahlreiche alte Obstbäume, vor allem Apfel-, Pflaumen- und Kirschbäume mit alten Sorten, die zum Teil vom Aussterben bedroht sind, da sie heute nicht mehr angebaut werden. Viele dieser Sorten gibt es nur noch bei uns oder an wenigen anderen Orten in Norddeutschland. Um diese alten Obstsorten vor dem Aussterben zu bewahren und die alten Bäume zu erhalten, haben wir 2008 das Projekt „Sortengärten“ ins Leben gerufen. Denn ein alter Obstbaum hat einen ganz besonderen Charme. Er bietet Lebensraum für viele unterschiedliche Tiere und Insektenarten. Und bei Sonnenschein unter einem uralten Apfelbaum im Schatten zu sitzen, das Spiel zwischen Sonne und Schatten und den Duft, den so ein mächtiger Baum verbreitet, zu genießen, ist einzigartiges Erlebnis. Einen solchen Baum kann man nicht “mal eben” nachpflanzen oder gar verpflanzen. Die Sortengärten sollen deshalb auch dazu beitragen, die Zerstörung der Bäume durch die „Verlagerung“ der Gärten auf den Autobahndeckel zu verhindern.

Sortenbestimmung beim Apfelfest

Zu Anfang musste geklärt werden, welche und wie viele alte Obstsorten es tatsächlich in unseren Gärten gibt. Beim Apfelfest 2008 waren alle Vereinsmitglieder aufgerufen, Äpfel aus ihren Gärten auf die Bienenwiese zu bringen. Es sollten Äpfel mitgebracht werden, deren Sorte bekannt war, aber vor allem auch unbekannte Sorten. Manche Apfelsorten ließen sich schon per Augenschein bestimmen. Die zahlreichen Sorten, bei denen das nicht möglich war, wurden von dem Obstbaumexperten Olaf Dreyer unter die Lupe genommen. Vor interessiertem Publikum erläuterte er, woran man Apfelsorten erkennen und bestimmen kann: Zuerst schaut man sich den Apfel von außen an. Entscheidend sind Größe, Form (flach, rund oder oval) und Farbe, sowie der Ansatz der Blume und des Stiels. Dann schneidet man den Apfel auf, legt das Kerngehäuse frei und kostet.

55 verschiedene Apfelsorten von 169 Bäumen haben wir inzwischen bei unseren Apfelfesten gezählt. Olaf Dreyer freute sich über so viele verschiedene Sorten und vor allem über seltene Apfelsorten wie den Ribstons Pepping und den Cellini. Selten in Hamburg sind auch der Altländer Pfannkuchenapfel, Seestermüher Zitronenapfel, Doppelter Prinzenapfel, Geheimrat Dr. Oldenburg, Gelber Richard, Danziger Kant, Ruhm von Kirchwerder, Grahams Jubiläumsapfel und Schöner von Nordhausen. Und da bei unseren Apfelfesten immer viel mehr Äpfel zusammenkamen, als für die pomologische Bestimmung gebraucht wurden, wurde der Rest in fröhlicher Runde gewaschen, geschnippelt und von den zahlreichen Kindern zu Apfelsaft gepresst, der gleich an Ort und Stelle schmeckte. Ebenso wie die zahlreichen Apfelkuchen, von denen nicht ein Krümel übrig blieb. Viele Gäste, Anwohner und Politiker konnten für Äpfel und den Wert der Kleingärten begeistert werden.

Gesunde Sorten durch Vielfalt

Doch warum ist es wichtig, diese alten Sorten zu erhalten? Im Supermarkt werden heute meist nur noch fünf oder sechs Apfelsorten angeboten. Und wer kennt schon mehr? Glücklicherweise hat das Stichwort Biodiversität inzwischen auch politisch an Wert gewonnen. Denn die vielen alten Sorten haben auch ganz verschiedene Qualitäten. Sie unterscheiden sich nicht nur im Aussehen und im Geschmack, sondern lassen sich auch ganz unterschiedlich verwenden. Der Boskop ist besonders gut zum Backen geeignet, der Seestermüher Zitronenapfel ist einer der Ersten im Jahr, der James Grieve ist super lecker, um ihn vom Baum frisch zu essen. Andere Sorten wie der Weiße Winterglockenapfel schmecken erst richtig gut, wenn sie Frost bekommen haben oder entfalten erst nach einer Lagerzeit von vier Monaten im Februar ihr volles Aroma. In einer Selbstversorger-Küche hat deshalb jeder Apfel seine Daseinsberechtigung. Für eine Sortenvielfalt spricht auch die größere Resistenz gegen Krankheiten und Schädlinge. Viele verschiedene Sorten haben auch unterschiedliche Blüh- und Entwicklungszeiten. Wenn also während der Blüte des Boskops ein starker Nachtfrost auftritt wie 2012, wird nur diese Ernte zerstört. Andere Apfelsorten blühen früher oder später, und die Ernte wird durch den Frost nicht beeinträchtigt. Ebenso verhält es sich mit Schädlingen. Wenn sie eine Sorte befallen und die Ernte vernichten, so bleiben immer noch viele andere Sorten, die reiche Früchte tragen.

Adamsapfel
Alkmene
Altländer Pfannkuchenapfel
Augustapfel
Baumanns Renette
Berlepsch
Biesterfelder Renette
Boskoop
Cellini
Cox Orange
Croncel
Danziger Kant
Doppelter Prinzenapfel
Elstar
Filippa
Finkenwerder Herbstprinz
Geheimrat Dr. Oldenburg
Gelber Richard
Gloster
Golden Delicius
Goldparmäne
Grahams Jubiläumsapfel
Gravensteiner
Holsteiner Cox
Horneburger Pfannkuchen
Ingol
Ingrid Marie
Jakob Lebel

Jamba
James Grieve
Jonagold
Jonathan
Kaiser Wilhelm
Laxtons Superb
Martini
McIntosh
Nathusius Taubenapfel
Ontario
Orangenburg
Prinzenapfel
Purpurroter Cousinot
Ribston Pepping
Roter Boskoop
Roter Elstar
Roter Holsteiner Cox
Roter James Grieve
Ruhm von Kirchwerder
Säulenapfel „Golden Gate
Schöner aus Haseldorf / Haseldorfer Prinz
Schöner von Nordhausen
Seestermüher Zitronenapfel
Stahl‘s Winterprinz
Strauwalz neue Goldparmäne
Weißer Winterglockenapfel
Zuccalmaglios Renette

Sortenerhalt durch Pfropfen

Mit der Bestimmung unserer Apfelsorten war ein Anfang für das Projekt Sortengärten gemacht. Wir wollten aber auch aktiv zum Erhalt alter Obstsorten beitragen. Eine Möglichkeit ist das Pfropfen. Um allen Gärtnern den Zugang zu alten und seltenen Apfel-, Kirsch- und Pflaumensorten zu ermöglichen, haben wir 2009 mit Hilfe von Olaf Dreyer aus vielen unterschiedlichen Gärten in Norddeutschland Veredelungsreiser gesammelt. Im ersten Jahr wurden in meinem Garten 80 Obstzweige als Unterlagen vorbereitet und in die Erde gesteckt. Im folgenden Jahr sind auf die angewachsenen Unterlagen Reiser von alten Apfel-, Kirsch- und Pflaumenbäumen gepfropft worden. Wiederum ein Jahr später haben wir ca. 50 kleine neue Obstbäume an interessierte Kleingärtner gegen eine Spende abgegeben. Mit etwas Glück und Pflege werden wir in zwei bis drei Jahren hoffentlich viele „neue“ alte Obstsorten in unseren Gärten ernten können. Eine neue Erhebung über die „Neuzugänge“ in unseren Gärten steht also in den nächsten Jahren an. Außerdem haben wir in ca. 28 Gärten unseres Vereins vorhandene Obstbäume mit weiteren Reisern gepfropft oder veredelt. Wie viele der Reiser angewachsen sind, muss noch ermittelt werden. In meinem Garten habe ich auf zwei Kirschbäume 39 verschiedene Kirschsorten gepfropft. Das ist nicht ganz einfach, man kann davon ausgehen, dass ca. 30% bis 50% der gepfropften Reiser angehen. Jetzt habe ich in meinem Kleingarten auf zwei Kirschbäumen ca. 20 unterschiedliche Kirschsorten, die unterschiedlich schmecken und nacheinander reif werden.

Ein Apfel am Tag erspart den Besuch beim Doktor

Und wer es tatsächlich noch nicht wusste: Äpfel sind gesund. Sie besitzen Inhaltsstoffe, die den Organismus stärken. Dr. Stephan Barth vom Max Rubner Institut ins Karlsruhe, dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, schreibt dazu: "Mittlerweile mehren sich die Hinweise darauf, dass diese Inhaltsstoffe, neben den enthaltenen Ballaststoffen, auch vor Krebs schützen können. Dabei besitzen alte Apfelsorten, die meist nur noch 
in Streuobstwiesen zu finden sind, nachgewiesenermaßen einen höheren Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen als die klassischen Tafeläpfel aus dem Supermarkt.“ Ich hoffe, dass wir durch das Projekt Sortengärten bald viele weitere alte Obstsorten in unseren Gärten haben werden und einige seltene Sorten vor dem Aussterben bewahren konnten. Herzlichen Dank an Olaf Dreyer, seine Mitarbeiter und viele Kleingärtner für die Unterstützung.